Ob das VW Golf Cabrio 1.4 TSI mit seinen 160 PS wirklich mehr Emotionen zeigt als der geschlossene Star der Kompaktklasse, ohne bedeutend an Alltagstauglichkeit zu verlieren, zeigt der Test.
Schon bald bei Ihrem VW-Handler: das neue VW Golf Cabrio "Kellerkommando" und "Wilhelm Tell Me". Denn das sind Namen von Bands, die der Volkswagen-Konzern heute fordert. Fruher gab es ja auch solche Sondermodelle: Genesis-, Pink Floyd-, Rolling Stones- und Bon Jovi-Editionen.
Deren Mut zur Farbe bekennt der Neuling bereits ab dem Marktstart, denn gegen Aufpreis fallt nicht nur die 4,25 Meter lange Karosserie in den mit Sunset Red gefullten Farbtopf, sondern auch das Garn fur die Sitzwangen der optionalen Sportsitze.
Fast 30.000 Euro mit 160 PS und Doppelkupplungsgetriebe
Mit diesen Extras klopft der Viersitzer bereits lautstark an die 30.000-Euro-Tur, denn zum Test tritt die Version mit 160 PS starkem TSI-Motor und Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe an. Basispreis: 27.875 Euro. Alles wie gehabt also, der volksnahe VW Golf steht als Cabrio wieder nur in der beheizten Doppelgarage neben der Oberklasse-Limousine des Hausherrn? Unwahrscheinlich, denn er bleibt preislich deutlich hinter dem Audi A3 Cabrio und sehr deutlich hinter dem Eos zuruck und kombiniert zudem deren gro?te Vorteile: ein kompakt zusammenlegbares Textilverdeck und vollige Bugelfreiheit.
Zwingen nun Elektrik und Hydraulik das von Webasto zugelieferte Dach in den dafur vorgesehenen Stauraum hinter den beiden Rucksitzen, bleibt das Kofferraumvolumen von 250 Litern erhalten. Das Gepackabteil lasst sich dank der Quaderform gut nutzen, sperriges Ladegut passt allerdings nur nach Anwendung der noch zu erfindenden Kunst des Koffer-Origami durch die enge Offnung.
Alternative: einfadeln uber die Durchreiche, die sich nach dem Umlegen der Rucksitzlehnen-Halften ergibt. Doch wen interessieren das Geklappe und die Beladerei schon? Nun, Cabrio hin oder her, ein Golf will auch in dieser betont emotionalen Auspragung mit hoher Praxistauglichkeit uberzeugen. Daher andert sich im Interieur durch das fehlende Blechdach nichts, von der reduzierten Innenraumbreite im Fond einmal abgesehen.
Erwachsene finden in der zweiten Reihe ausreichend Platz
Wer eine Mitfahrt in der zweiten Reihe angeboten bekommt, darf gerne annehmen, denn das Platzangebot reicht aus. Und wer uber die bequemen Alcantara-Sportsitze in der ersten Reihe meckert, beschwert sich vermutlich auch uber den Gewinn des Lotto-Jackpots. Alles Weitere lasst sich schnell abhaken: Ubersichtlichkeit? Offen naturlich prima, geschlossen ebenfalls in Ordnung. Instrumente? Hervorragend ablesbar. Bedienbarkeit? Ahnlich stringent wie bei einem Wahlscheiben-Telefon, Modell W48 von der Deutschen Bundespost. Einzig die Metalllasche zum Offnen des Dachs wirkt ungewohnt – und die Abwesenheit der Taste fur die Verstellung der adaptiven Dampfer.
Macht nichts, denn trotz 17 Zoll gro?en Optionsradern zeigt der 1.510 Kilogramm schwere Testwagen eindrucksvoll, wie schnuppe ihm Bodenwellen eigentlich sind. Erst wenn sich der Asphalt von seiner renovierungsbedurftigsten Seite zeigt, machen sich die Reifen mit dem flachen 45er-Querschnitt durch leichtes Poltern bemerkbar. Gerausche aus der Karosserie oder gar Verwindungen? Nicht im VW Golf.
Mag sich hier der erhebliche Gewichtsnachteil von rund 200 Kilogramm gegenuber dem Vierturer noch positiv auswirken, so wirkt er auf die Fahrdynamik doch deutlich sedierend. Im Vergleich zur VW Golf-Limousine lenkt das schwere Cabrio zwar etwas gemutlicher ein, fur die direkte Konkurrenz vom Schlage eines BMW 120i reicht es aber immer noch. Wer es richtig krachen lasst, erntet Wankbewegungen und eine ausgepragte Seitenneigung.
Allerdings: Ein Golf lasst sich auch ohne festes Dach nicht aus der niedersachsischen Ruhe bringen. Die Vokabel boser Lastwechsel wollten die Wolfsburger nicht einmal ihren sportlichen R-Modellen eintrichtern, und der GTI hat sie fast verlernt. Wieso sollte sie also beim Cabrio auftauchen?
Von 160 PS erwartet man mehr
Eine weitere Folge des Versteifungs-Specks in der Bodengruppe: Er untergrabt die Autoritat des aufgeladenen Benzin-Direkteinspritzers. Eigentlich sollen stattliche 160 PS und ein maximales Drehmoment von 240 Nm fur ordentlich Musik sorgen, doch gefuhlt bleiben davon bestenfalls die 122 PS des nachstschwacheren Aggregats ubrig. Das 1,4-Liter-Triebwerk mit tonangebender Turbo- und Kompressoraufladung plagt sich merklich, um den Zweiturer in neun Sekunden von null auf 100 km/h zu beschleunigen. Um der Werksangabe gerecht zu werden, hatte das Messgerat bereits sechs Zehntel fruher stoppen mussen.
Von den gro?en Anstrengungen des Vierzylinders bekommen die Insassen zumindest akustisch nichts mit, doch hier fuhlt sich der TSI viel deutlicher nach kleinem Hubraum an als im verloteten Golf. Viel flotter dagegen: das Doppelkupplungsgetriebe mit sieben Gangen. Wie besessen wechselt es zum optimalen Zeitpunkt blitzschnell in die nachste Fahrstufe und versucht so, dem Leistungsanspruch der Motorisierung gerecht zu werden. Zudem hilft das Getriebe mit seiner Ubersetzung, den Testverbrauch des schweren Cabrios mit 8,2 L/100 km auf ein akzeptables Niveau zu drucken.
Beim Fahren stort das eingeschrankte Temperament weniger als an der Kasse, denn der Preissprung zur Einstiegsversion 1.2 TSI betragt ohne DSG immerhin 2.450 Euro – ohne dass sich dadurch etwas am sonnigen Cabrio-Gefuhl andern wurde. Das beginnt bereits mit der Windschutzscheibe, die zwar flacher steht als beim Schragheck-Modell, aber dennoch nicht bundig mit der Stirn des Fahrers abschlie?t, wie es gerne mal in diesem Segment vorkommt. Der Fahrtwind stromt angenehm durch das Interieur, ohne dabei den Insassen sofort in jedes Knopfloch und in die Nebenhohlen zu kriechen, um dort gesundheitlichen Flurschaden anzurichten. Solange die Route ausschlie?lich Landstra?en beinhaltet, darf sogar das Windschott bleiben, wo es die Linie des Cabrios besonders unterstreicht: zusammengefaltet im Kofferraum. Selbst auf der Autobahn reicht es zunachst, per Knopfdruck am Zentralschalter die vier Seitenfenster aus der Versenkung zu holen.
Und falls das Navi nicht rechtzeitig eine Umleitung um die nachste Schlechtwetterfront findet, knopft sich der Golf sehr zugig in neun Sekunden zu. Dabei muss der Fahrer lediglich einen Finger krumm machen und darf zudem noch mit bis zu 30 km/h unterwegs sein. Ist der Deckel drauf, prasselt zwar der Regen horbar, der Wind muss sein Lied aber woanders singen. Sicher, es rauscht ein wenig, doch die Musik macht noch immer das serienma?ige Radio. Vielleicht spielt es den Soundtrack einer neuen Generation – von "Kellerkommando" und "Wilhelm Tell Me".
Obwohl die Wilhelm Karmann GmbH 2010 Insolvenz anmelden musste, lauft das neue VW Golf Cabrio wie seine Vorganger am selben Standort in Osnabruck vom Band. VW ubernahm fur rund 39 Millionen Euro Presswerk, Lackiererei und Montage. Zwischen 1979 und 1993 wurden vom Golf I Cabrio 388.522, bis 2002 weitere 212.063 Exemplare vom Golf III/IV gefertigt – beide mit charakteristischem Uberrollbugel. Der erste Prototyp von 1976 verzichtete noch darauf, scheiterte jedoch an internen Sicherheitsvorgaben.